Ruanda - Die Geschichte eines Völkermordes
Vorgeschichte
Als Ruanda 1884, auf der Berliner "Kongo-Konferenz", der Kolonie "Deutsch-Ostafrika" zugeteilt wurde, war über den kleinen Staat mitten in der afrikanischen grossen Seenregion wenig bekannt. Man hatte davon gehört, dass die aristrokratischen Tutsi (ca.14% der Bevölkerung) die Macht besass und die Bevölkerungsmehrheit der Hutu´s (ca. 85%) für sich arbeiten liesse. Des weiteren wusste man von einer Randgruppe der Twa- Pygmäen (ca.1%), die in den Vulkanbergen lebten und den Kontakt zur Aussenwelt mieden.
Aufgrund der Tatsache, dass der ruandische Tutsi-König niemals Sklaventreiber in sein Land liess und wegen der abgeschotteten gebirgigen Lage, wurde Ruanda auch das "Tibet von Afrika" genannt.

Die Deutschen hatten wegen der geografischen Lage und den schwachen Rohstoffresourcen wenig Interesse an diesem Teil ihrer Kolonie, und so soll es vorgekommen sein, dass grosse Teile der ruandischen Bevölkerung gar nicht wussten, dass sie mittlerweile eine Kolonie waren.
Dies änderte sich 1915 als Deutschland, nach dem Ende des ersten Weltkrieges, diese Kolonie an Belgien abtreten musste.

Belgien forcierte nun die Kolonialisierung Ruandas, beliess aber die Machtverhältnisse, mit dem Tutsi-König als Staatsoberhaupt, unangetastet. Eine Sache wurde allerdings zu dieser Zeit von den Belgiern eingeführt, die beim Genozid 1994 eine entscheidende Rolle spielte: Es wurde eine Volkszählung durchgeführt, und die gesamte ruandische Bevölkerung bekam einen Personalausweis, in dem ihre jeweilige Rasse (Tutsi, Hutu oder Twa) vermerkt war. Sinn dessen war wohl eine bessere Kontrolle der Belgier über die jeweiligen Stämme.

Nachdem nun die Tutsi-Regierung die Unabhängigkeit von Belgien forderte, versuchten die Belgier ihre Macht zu behalten, indem sie den schon schwelenden Bauernaufstand der unterdrückten Hutu´s förderte. Infolgedessen kam es zu einem kaum bekannten ersten Völkermord an den Tutsi, wobei im Jahr 1959 ca. 50.000 Tutsi ermordet wurden und weitere 50.000 ausser Landes flohen (grosse Teile davon ins Nachbarland Uganda).
Als dann im Jahr 1962 Ruanda die Unabhängigkeit erhielt, hatten die Hutu´s das Sagen.

1973 kam der Hutu-Diktator Juvenal Habyarimana an die Macht und führte den Ein-Parteien-Staat ein. Jetzt konnte auch ein parteitreuer Tutsi Karriere machen, sowie ein politisch feindlicher Hutu im Gefängnis landen.

Die jungen Tutsi-Männer, in den Flüchtlingslagern Uganda`s, schauten aus der Ferne auf ihre bergige Heimat und sannen nach Rache. Als nun der Rebellenführer Uganda`s, Yoweri Museveni, junge Soldaten für seine Armee suchte, bildete er diese ruandischen Tutsi´s in seinen Militärlagern aus.
Nachdem Museveni mit Hilfe dieser ruandischen Tutsi-Soldaten die ugandische Regierung stürzte, und er Uganda`s Staatsoberhaupt wurde, löste er sein Versprechen ein und förderte nun die Rebellenarmee der ruandischen Tutsi`s (RPF= Ruanda Patriotic Front) mit ihrem Anführer Paul Kagame.

Am 30. September 1990 marschierten nun die Tutsi-Rebellen in Ruanda ein und drangen schnell bis 25 km vor die Hauptstadt Kigali vor. Die ruandische Regierungsarmee war vollkommen überrascht und hätte den Krieg gegen die Tutsi´s sicher verloren, wenn nicht im letzten Moment ihr Verbündeter Frankreich Fallschirmjägertruppen nach Kigali geschickt hätte.

Daraufhin zogen sich die enttäuschten Tutsi-Rebellen zurück, hielten aber den nordöstlichen Teil des Landes besetzt.
Die extremistischen Hutu`s, der ruandischen Regierung, heizten nun den Rassenhass der Bevölkerung gegen die Tutsi`s in Ruanda an. Sie hatten Angst, dass die Tutsi´s, wie schon in der Vergangenheit, wieder an die Macht kommen könnten und die Hutu´s unterdrücken würden. Auch grosse Teile der akademischen und gebildeten Bevölkerung wurde dazu benutzt, die einfache Bevölkerung aufzuhetzen. Dadurch wurde eine Massenhysterie produziert.

Die beiden Kriegsgegner, die regierenden Hutu´s und die ruandischen Tutsi-Rebellen standen sich nun patt gegenüber, und so wurde in einem Friedesgipfel, im tansanischen Arusha, ein Friedensabkommen von Hutu`s und Tutsi`s unterzeichnet. Darin stand: dass nach einer Übergangszeit die Tutsi-Flüchtlinge wieder in ihr Land kommen dürften, und dass eine gemeinsame Regierung von Hutu`s und Tutsi`s gebildet werden sollte.
Zur Überwachung der Kriegsparteien wurde eine demilitarisierte Zone eingerichtet, die von einer unbewaffneten UN-Truppe bewacht werden sollte. Diese UNAMIR (=United Nations Assistance Mission for Ruanda) - Soldaten setzten sich aus Kanadiern, mehreren afrikanischen Staaten und aus den "verhassten" Belgiern zusammen.

Der Hutu-Präsident Habyarimana stand nun zwischen den Stühlen: Auf der einen Seite stand sein bereits aufgehetztes Hutu Volk, auf der anderen das Friedensabkommen, welches er unterzeichnet hatte. Viele seiner Gefolgsleute liefen nun zu den Extremisten über, die eine "Endlösung" in der Tutsi-Frage propagierten. Schon vor dem Frühjahr 1994 kam es zu vereinzelten Morden und Greueltaten an der Tutsi-Bevölkerung.

Der schwelende Konflikt zwischen Hutu`s und Tutsi`s hatte seinen Höhepunkt erreicht. Es brauchte nur noch einen Funken, um die aufgeheizte Situation zur Explosion zu bringen, und die aufgehetzte, in Hysterie versetzte Bevölkerung, zur Tat schreiten zu lassen.
Der Völkermord
Dieser explodierte dann im warsten Sinne des Wortes. Am 06. April 1994 wurde das Flugzeug von Staatspräsident Habyarimana im Landeanflug auf die Hauptstadt Kigali "von Unbekannten" abgeschossen.
Dabei stirbt nicht nur Präsident Habyarimana sondern auch der Staatspräsident von Burundi, Cyprien Ntaryamira.

Schon eine Stunde nach dem Anschlag werden in der Hauptstadt Strassensperren errichtet, iniziiert von den Interahamwe (militärischer Arm der Regierungspartei der Hutu´s) und der als kompromisslos bekannten Präsidentengarde. Die Armee und die Polizei greift nicht ein, um die Lage zu beruhigen.

Der neue Staatschef ist nun, für genau einen Tag, eine Frau und heisst Agathe Uwilingiyimana. Sie ist in der Bevölkerung nur unter dem Namen "Madame Agathe" bekannt. Sie ist eine der wenigen liberalen Hutu-Regierungsmitglieder und steht zu dem Arusha-Friedensvertrag. Noch bevor sie am nächsten Morgen eine Rede an die Nation halten kann, werden sie und ihr Ehemann kaltblütig von den Hutu-Extremisten ermordet.

Am gleichen Morgen sendet der rassistische Radiosender RTLM (Radio Television Libre de Mille Collines) Hetzparolen, um die Hutu Bevölkerung, die im Vorfeld bereits in Massenhysterie vesetzt wurde, zum Völkermord an den Tutsi zu animieren. Bis zum Kriegsende bleibt dieser Radiokanal auf Sendung, mit Parolen wie: WEITER, WEITER, DIE GRÄBER SIND ERST ZUR HÄLFTE MIT TUTSI´S GEFÜLLT! MACHT SIE GANZ VOLL!

Ebenfalls an diesem Morgen des 07. April 1994 wird mit dem systematischen Völkermord begonnen. Die Todeslisten waren schon vorbereitet..., dabei spielte die in der Vorgeschichte beschriebene Rasseneinteilung der belgischen Kolonialmacht eine entscheidene Rolle. Sie machte es einfach für die Drahtzieher, die Tutsi-Bevölkerung zu identifizieren und zu katalogisieren.

In 100 Tagen Völkermord werden nach Schätzungen ca. 800.000 Tutsi und mit ihnen "sympatisierende" Hutu ermordet:zum Teil von den eigenen Nachbarn, Freunden und Familienmitgliedern. Die genaue Zahl der ermordeten Personen wird niemals festgestellt werden können, da nach ihrem Tod alle persönlichen Akten von den "Regierungsangestellten" vernichtet wurden. Die ermordeten Menschen hatten schlicht niemals existiert...!

Die Täter werden in drei Katagorien unterteilt: Die Drahtzieher, die den Völkermord geplant, propagiert und überwacht haben. Dann diejenigen, die hätten einschreiten können, jedoch untätig zuschauten (Armee, Polizei), und dann die Mörder: die Interharamwe, die radikale Präsidentengarde, Teile der Armee und vor allem die in Massenhysterie versetzt Hutu- Bevölkerung.

Das ist das grausame dieses Völkermordes: das Hutu Volk wird aufgehetzt, so brutal wie möglich ihre Tutsi Mitmenschen mit Stöcken, Buschmessern und Foltermethoden zu quälen und zu töten.
Die Drahtzieher überwachen den grausamen Schauplatz und sprechen weiter Hetzparolen aus. Der Völkermord wird zu einem "Selbstläufer".

Wie in jedem Krieg gibt es besondere Menschen, die aussergewöhnliche Sachen durchführen. Leider in positiver und negativer Hinsicht:

So geschieht es, dass die Tutsi`s vor ihren Hutu-Mördern in Kirchen fliehen. Viele Menschen werden von Pastoren und UN-Truppen geschützt. Leider kommt es auch häufig vor, dass die Völkermörder die "Einladung" annehmen, eine Kirche stürmen und die Flüchtlinge in den Gotteshäusern mit der Machete abschlachten (wie in den heutigen Genkstätten Nyamata und Ntarama).

Der Manager des "Hotel de Milles Collines" wird berühmt. Seiner Hilfe ist es zu Verdanken, dass hunderte Tutsi`s in seinem Hotel den Genozid überleben. Die Geschichte ist in dem Kinofilm "Hotel Ruanda" dargestellt worden.

Die Tutsi-Armee (RPF), um ihren Anführer Paul Kagame, beginnt den Bürgerkrieg gegen die Regierungsarmee, weil die neue "Extremisten" - Regierung nicht in den Völkermord eingreift. Am 18. Juli 1994 verkündet die RPF ihren Sieg oder wie es im Militärjargon heisst, den "einseitigen Waffenstillstand".

Was machten die UN-Truppen? Sie waren die ganze Zeit über in Ruanda stationiert, bekamen aber weder die Erlaubnis, militärisch einzugreifen, noch wurde ihr Truppenkontingent erweitert. Sie konnten nur zusehen, wie brutal gemordet wurde und nur vereinzelte Rettungsaktionen durchführen. Fakt ist jedoch, dass sie über alle Vorgänge in Ruanda bescheid wussten und dementsprechend auch die Vereinten Nationen und alle Weltmächte benachrichtigten und um Hilfe baten. Unter der Rubrik "Hintergrund" sind Fakten sowie Aussagen zusammengetragen, die die Gründe für das unverständliche Nichteingreifen darstellen.
Nach dem Sieg der RPF ergreifen nun viele Hutu´s die Flucht. Entweder waren sie am Völkermord beteiligt, oder weil sie Angst vor Vergeltung der siegreichen Tutsi-Armee hatten. Sie fliehen in die Nachbarländer Tansania, Uganda und Dem. Republik Kongo (vorm. Zaire). Mit den zuvor geflohenen Tutsi, die noch in den Flüchtlingslagern lebten, wird angenommen das 2/3 der gesamten Bevölkerung Ruanda`s ausser Landes war.

Das ganze Land war zerstört und kaum einer glaubte daran, dass nun die RPF, die Tutsi- Partei, wie angekündigt das Land vereinen könnte. Zu gross war die Befürchtung, dass die jahrlange Schickanierung der Tutsi´s nun zu Racheakten an den Hutu führen würde.

Doch das Wunder von Ruanda geschah. Die RPF bildete eine Regierung aus Tutsi und moderaten Hutu und strebte von Anfang an eine Vereinigung aller Stämme an. Langsam kehrten die Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurück. Die Grundmaxime die bis heute gilt: wir sind nicht Tutsi, Hutu oder Twa, wir sind alle Ruander und alle ein Volk.

Der frühere Rebellenanführer Paul Kagame wurde am 22. April 2000 Präsident und führte die Vereinigungspolitik seines Vorgängers Pasteur Bizimungu fort. Die Hilfsgelder aus der westlichen Welt wurden auch tatsächlich dem Volk zugeführt, so dass man heute kaum noch Spuren von dem Bürgerkrieg sieht. Ruanda`s Hauptstadt Kigali gilt heute als modernste Grossstadt von Ostafrika.
Nach dem Völkermord
Hintergrund
Warum griffen die Vereinten Nationen und die Weltmächte nicht ein? Dazu ist es wichtig, einige Geschehnisse in den 90er Jahren zu betrachten. Die Vereinten Nationen hatten eben zu dieser Zeit schon Grosseinsätze in Kambodscha und in der früheren Republik Jugoslawien zu bestreiten. Die Vorgänge in einem kleinen, bis dahin unbekannten Land wie Ruanda hatten schlichtweg nicht erste Priorität.

Die USA hatten keinerlei Interesse an einem Einsatz in Afrika, nachdem im Jahr 1993 bei ihrer Militäroperation "Restore Hope" in Somalia 18 US-Soldaten getöten wurden.

Belgien, die einen Grossteil der UNAMIR Truppen stellten, zogen ihre kompletten Truppen ab, nachdem am 07.April 1994 zehn belgische Soldaten brutal ermordet wurden.

Frankreich spielt wohl die umstrittenste Rolle. Ihre Verbündeten, in der extremistischen Regierung Ruandas, waren die Drahtzieher des Völkermordes. Heute erwiesen ist, dass Frankreich einerseits in den Jahren vor dem Genozid etliche Waffenlieferungen nach Ruanda durchführte, und dass andererseits französische Soldaten zur Schulung der Hutu-Armee nach Ruanda gesandt wurden.

Die Franzosen waren es auch, die gegen Ende des Krieges eine umstrittene Militäroperation (Operation Turquoise) durchführten. Das Ziel war es, im Südwesten von Ruanda eine demilitarisierte Zone für die Flüchtlinge des Völkermordes zu errichten.
Heute erwiesen ist, dass durch diese Zone viele Drahtzieher und Handlanger des Völkermordes vor ihrer Festnahme flüchten konnten. Die Anschuldigungen der RPF, dass französische Soldaten sich in dieser Zeit, zusammen mit den Hutu, an dem Völkermord aktiv beteiligten, wurde jedoch niemals nachgewiesen.

Zum Schluss noch ein Zitat aus dem Roman "Shake Hands with the Devil" geschrieben vom Oberbefehlshaber der UNAMIR Truppen in Ruanda, Lt. Gen. Romeo Dallaire.
Die Aussage stammt von einem hohen amerikanischen Offizier und war die Antwort auf Dallaire`s Anfrage nach US-Truppen.

Romeo Dallaire: "Der hohe US-Offizier hatte kein Schamgefühl, als er mir mitteilte, dass sie nur das Leben von 10 US-Soldaten riskieren würden, um 800.000 ruandische Menschenleben zu retten."